Durch die hohe Prävalenz von Arthrose sind viele Personen mit der Erkrankung in Berührung gekommen; folglich gehen damit eine Vielzahl an Mythen und Fehlinformationen über Arthrose einher. Dies führt zu einem schlechten Umgang mit der Erkrankung und lenkt die Aufmerksamkeit auf unfundierte Behandlungsstrategien, was die Lebensqualität im Vergleich zu den Möglichkeiten effektiverer Ansätze einschränkt. Dieser Beitrag soll gängige Fehlinformationen aufdecken und nachgewiesene Maßnahmen beleuchten, die die Auswirkungen von Arthrose reduzieren können.
Was ist Arthrose?
Arthrose beschreibt eine Erkrankung, die mit Gelenkschmerzen, Steifheit und Bewegungseinschränkungen einhergehen kann. In über 80 % aller Fälle sind die Knie betroffen, aber auch die Hüften, Hände und Schultern von Erwachsenen mittleren und höheren Alters können betroffen sein (Lancet, 2018; Wallace et al., 2017).
Der allgemeine Konsens besagt, dass Arthrose durch "Abnutzung" des Gelenkknorpels entsteht. Daraufhin wird angenommen, dass ein Gelenk "Knochen auf Knochen" liegt, was wiederum im Gelenk Ursprung der Schmerzen sei. Dies scheint plausibel, wenn damit Gelenksteife, Knirschen und andere Geräusche, die als Krepitus bekannt sind, einhergehen. Patienten sind in der Regel sehr besorgt über die Bedeutung dieser Geräusche und gehen davon aus, dass das Geräusch eine fortlaufende Schädigung des Gelenks widerspiegelt. Jedoch treten krepitierende Gelenke auch bei Personen mit normaler Gelenkfunktion und ohne Schmerzen sehr häufig auf. Das Krepitieren ist kein Zeichen für eine aktive Schädigung des Gelenks, auch wenn es beängstigend klingen mag.
Dennoch werden Ängste oftmals durch Ärzte, die ihren Patienten Röntgenbilder zeigen und auf Bereiche der Gelenkdegeneration hinweisen, unterstützt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der Schweregrad der Arthrose - wie dieser auf einem Röntgenbild zu sehen ist - eng mit der Intensität der Schmerzen und der funktionellen Einschränkung zusammenhängt.
Zum Glück ist die Situation komplexer, als es diese Erklärungen zu vermitteln scheinen. Zwar ist die Tatsache korrekt, dass Arthrose typischerweise mit einer Ausdünnung des Gelenkknorpels einhergeht, aber die Ursache ist nicht die gleiche Art von Abnutzung, die beispielsweise mit dem Verschleiß einer mechanischen Autokomponente in Verbindung gebracht wird. Tatsächlich kommt es häufig vor, dass Menschen mit zunehmendem Alter auf Röntgenbildern das Erscheinungsbild einer Arthrose entwickeln - unabhängig davon, ob sie überhaupt Gelenkschmerzen haben oder nicht. Daher versuchen einige Personen im Gesundheitswesen ominöse Begrifflichkeiten wie "Degeneration" zu vermeiden und betrachten solche radiologischen Auffälligkeiten stattdessen als normale altersbedingte Veränderung - analog zur Entwicklung grauer Haare oder von Falten.
Die fehlende Korrelation zwischen Röntgenbefunden und Patientensymptomen spiegelt die Tatsache wider, dass Schmerzen kein genaues Abbild von Gewebeschäden sind, sondern eine komplexe Erfahrung, die durch eine Vielzahl von Faktoren innerhalb und außerhalb eines Gelenks beeinflusst werden kann. Es gibt Patienten, die auf ihren Röntgenbildern keine Anomalien aufweisen und dennoch starke Schmerzen haben; daneben existieren Patienten mit erheblichen Anomalien auf ihren Röntgenbildern, die keine Schmerzen haben. Innerhalb dieses Spektrums sind unzählige unterschiedliche Ausprägungen beider Faktoren möglich.
Das soll nicht heißen, dass diese altersbedingten Veränderungen bei der Entstehung von Gelenkschmerzen keine Rolle spielen können, sondern nur, dass diese allein kein vollständiges Bild ergeben. Auch wenn der Begriff der Ganzheitlichkeit oftmals für alternativmedizinische Ansätze missbraucht wird, lohnt es sich auch bei Arthrose, den Blick auf die Person als solche zu richten und nicht ausschließlich die Pathologie oder das betroffene Gelenk zu behandeln.
Pathogenese
Die Entwicklung von Arthrose ist mit einer Vielzahl biologischer Faktoren verbunden, wie z.B. knöchernen Veränderungen, genetischen Faktoren, Traumata und dem Vorhandensein von Nebendiagnosen wie Übergewicht. Weiterhin umfasst die Pathogenese von Arthrose mehrere komplexe biochemische und metabolische Prozesse, die zum Abbau des Gelenkknorpels führen. Es wird angenommen, dass ein Ungleichgewicht zwischen dem Aufbau und dem Abbau des Gelenkknorpels eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Arthrose spielt. Ein wichtiger metabolischer Faktor bei der Entstehung von Arthrose ist die Freisetzung von entzündlichen Zytokinen, wie zum Beispiel Interleukin-1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-alpha). Diese Zytokine können die Synthese von kollagenen Proteinen und Proteoglykanen im Knorpel hemmen, was zu einer Abnahme der Knorpelmatrix führt. Gleichzeitig stimulieren sie die Aktivität von Enzymen, wie der Matrix-Metalloproteasen, die für den Abbau der extrazellulären Matrix im Knorpel verantwortlich sind. Ein weiterer wichtiger metabolischer Faktor bei der Entstehung von Arthrose ist die oxidative Belastung. Dabei kommt es zu einer Anhäufung von freien Radikalen, die die Zellen im Knorpel und im umgebenden Gewebe schädigen können. Dies kann die Knorpelmatrix destabilisieren und Entzündungsreaktionen im Gelenk hervorrufen. Schließlich spielen auch Stoffwechselprodukte von Arachidonsäure wie Prostaglandine und Leukotriene eine Rolle bei der Entstehung von Arthrose. Diese Moleküle werden in der Synovialflüssigkeit im Gelenk produziert und können entzündliche Prozesse und Schmerzen verstärken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Pathogenese von Arthrose sehr komplex ist und mehrere Faktoren umfasst, die zum Abbau des Gelenkknorpels führen können (Fernandes et al., 2002; Goldring & Otero, 2011).
Darüber hinaus werden Schmerzsymptome auch mit verschiedenen psychologischen, sozialen und umweltbedingten Faktoren in Verbindung gebracht - darunter Schlafmangel, negative Überzeugungen, Furcht, Depressionen, Ängste, Stress und ein vermindertes Gefühl der Kontrolle und Fähigkeit (bekannt als "Selbstwirksamkeit"). Diese Faktoren wirken zusammen und führen zu einer Verringerung der körperlichen Aktivität und des Engagements im Leben - oft aus Angst, weitere Schäden zu verursachen -, was dann zu einer Verschlimmerung der Symptome und weiteren Behinderungen führt (Rejeski et al., 1998; Mertel-Pelletier et al., 2016). Das folgende Diagramm veranschaulicht die Folgen negativer, schädlicher Überzeugungen im Zusammenhang mit Arthrose:
Wie bereits erwähnt, lohnt sich eine Verlagerung des Schwerpunkts vom Gelenk auf den ganzen Menschen. Denn dies wiederum eröffnet uns mehr potenzielle Interventionsmöglichkeiten zur Verbesserung der Funktion und der Lebensqualität, anstatt die irrige Vorstellung zu vermitteln, dass die Behebung von Schäden durch Gelenkersatz die einzige plausible Option ist (Caneiro et al., 2020). Letztlich untermauern solche negativen Überzeugungen Selbstwirksamkeit, indem in Vergangenheit durchgeführte Aktivitäten als irreversible, schadenbringende Ereignisse kategorisiert werden, auf die heute kein Einfluss mehr genommen werden kann. Qualitative Untersuchungen zeigen im nächsten Abschnitt diese Denkweisen auf.
Häufige Missverständnisse
In einer Studie aus dem Jahr 2019 wurden Patienten befragt, bei denen eine Kniegelenkersatzoperation geplant war. Die Schlussfolgerung der Autoren besagt, dass alle Teilnehmer überzeugt davon waren, dass ihr Kniegelenk nunmehr Knochen auf Knochen als Folge von Abnutzung und Verschleiß sei. Dieser Glaube veranlasste sie, schmerzhafte Aktivitäten zu vemeiden - aus Angst, das Gelenk weiter zu schädigen.
Auf Nachfrage, ihre Kniearthrose zu beschreiben, tätigten die Probanden der Studie folgende Antworten:
1) „Es ist Knochen auf Knochen, der Knorpel ist weg."
2) „An einem Tag konnte ich noch gut laufen, am nächsten Tag knallte es ... der Knochen stieß auf den Knochen. Man kann spüren, wie es knirscht.“
3) „Manchmal, wenn ich mich umdrehe, höre ich dieses laute Knacken. Und dann ist es, als ob es aus der Pfanne fällt, ich weiß nicht, ob es herausspringt, aber es gibt ein lautes knackendes Geräusch."
4) „Sie haben mir Bilder von der Innenseite meiner Knie gezeigt, es sind buchstäblich nur zwei runde Kreise, ohne etwas [Knorpel] darauf."
Diese Aussagen unterstreichen die verbreitete Denkweise, dass sich Arthrose und die damit zusammenhängenden Schmerzen überwiegend durch die fehlende Knorpelsubstanz erklären lassen.
Die Fakten: Die Vorstellung, dass Knorpelschwund mit Arthrose zusammenhängt, ist natürlich nicht falsch. Aber auch wenn diese strukturellen Veränderungen zu Symptomen von Arthrose beitragen können, können noch viele weitere Faktoren vorliegen, die beeinflussen, ob ein Gelenk sensibilisiert ist und schmerzt.
Das wird einleuchtend, wenn die Tatsache bedacht wird, dass ungefähr 40% der Menschen über 40 Jahre auf MRT-Bildern Veränderungen der Kniearthrose zeigen, ohne Vorhandensein von Schmerzen oder anderen Symptomen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich Schmerzen und Funktion deutlich verbessern können, obwohl sich die Gelenkstruktur nicht verändert. Schließlich haben etwa 20 % der Patienten mit einem neuen Kniegelenk nach wie vor Knieschmerzen – bei einem Hüftersatz sind die Zahlen ähnlich. All dies verdeutlicht, inwieweit Schmerzen mehr sind als nur Veränderungen auf Gewebeebene bzw. Röntgenbildern. Das sind insofern gute Nachrichten, als dass viele Variablen berücksichtigt werden können, um die Gesundheit und Funktion der Gelenke zu fördern, anstatt alle unsere Hoffnungen auf eine Operation zu setzen (Culvenor et al., 2019).
Auf die Frage, was die Ursache ihrer Kniearthrose sei, antworteten Patienten:
1) „Ich habe in meiner Jugend immer viel im Garten gearbeitet und getanzt, vielleicht hat das auch dazu beigetragen.“
2) „Sehen Sie, das ist Verschleiß... Ich habe das erwartet, ich arbeite hart.“
3) „Wenn man zunimmt, ist das nicht gut für die Knie. Denn man muss es ja herumtragen.“
An dieser Stelle spiegelt sich flächendeckend die Annahme wider, dass Arthrose auf eine übermäßige Belastung des Knies zurückzuführen sei.
Die Fakten: Wenn wir den Körper als eine Maschine betrachten, die wie ein Auto aus mechanischen Teilen besteht, scheint die Idee des Verschleißes Sinn zu ergeben. Daraus lässt sich schließen, dass die Belastung durch wiederholte Nutzung der Gelenke im Laufe der Zeit zu einer Verschlechterung führt, bis ein Ersatz erforderlich wird. Die Grundannahme, dass unsere Körperteile wie die Komponenten einer Maschine sind, ist jedoch unvollständig, da sich unser Körper an die gegebenen Anforderungen anpasst und Knorpelgewebe von Bewegung lebt. Um dafür eine sinnvolle Analogie zu schaffen, müssten Autos proportional zu den gefahrenen Kilometern dickere Autoreifen entwickeln.
Ein gutes Beispiel ist das Joggen, welches gemeinhin ebenfalls als schlecht für die Knie abgestempelt wird. Folgende Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Joggen und Arthrose auf:
Hierbei ist zu erkennen, dass erst Läufer mit Wettbewerbsambitionen einem höheren Risiko ausgesetzt werden, Arthrose zu erleiden. Andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass dafür allerdings eine wöchentliche Laufdistanz von mindestens 95 Kilometern absolviert werden muss, was fernab von gängigen Laufpensa der meisten Personen ist. Von daher sollte der Großteil der Bevölkerung keine Angst vor dem Laufen haben, sondern viel mehr Angst vor körperlicher Inaktivität, da hierbei das Arthroserisiko um ein Dreifaches wahrscheinlicher ist im Gegensatz zu freizeitmäßigen Läufern.
Auf die Frage, wie sich ihre Symptome im Laufe der Zeit verändern würden, antworteten die Patienten:
1) „Wenn ich so weitermache wie bisher, wird es nur noch schlimmer werden. Es wird sich einfach weiter abnutzen.“
2) „Als er [Arzt] sich die Röntgenbilder ansah, zeigte er mir, dass auf der linken Seite nur noch Knochen auf Knochen liegt, da ist nichts mehr. Er hat gesagt, dass es nicht besser wird, es wird sogar noch schlimmer.“
3) „Das Knie hat sein Haltbarkeitsdatum bereits überschritten, also braucht es etwas, das es ersetzt.“
Arthrose kommt hier als unausweichliche Abwärtsspirale daher, die unumkehrbar sei.
Die Fakten: Ein weit verbreiteter Irrglaube über Kniearthrose ist, dass ein fortschreitender Gelenkverschleiß unvermeidlich ist und dies letzten Endes einen Knieersatz erfordert. Das Fortschreiten der Arthrose ist jedoch von Person zu Person sehr unterschiedlich, und viele Menschen zeigen auch über mehrere Jahre hinweg keine Verschlechterung der Symptome oder fortschreitende Gelenkveränderungen (Spector et al., 1992; Chapple et al., 2011)
Stellenwert von Bewegung bei Arthrose
Jene Erkenntnisse bedeuten jedoch nicht, dass Belastung für Gelenkschmerzen irrelevant ist. So wissen wir beispielsweise, dass traumatische Verletzungen des Kniegelenks (z. B. Kreuzbandrisse) das Risiko für die Entwicklung von Arthrose im späteren Leben erhöhen (Paschos, 2017). Eine routinemäßige, nicht traumatische Belastung scheint jedoch das Risiko für arthrosebedingte Schmerzen nicht signifikant zu erhöhen und schadet dem Gelenkknorpel nicht (Bricca et al., 2019). In einer Studie wurden die Knie von Gewichthebern, die an Wettkämpfen teilnahmen, mit gesunden Kontrollpersonen mittels MRT verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass die Knieknorpel der Gewichtheber deutlich dicker waren, und zwar umso dicker, je früher sie mit dem Training begannen. Diese Ergebnisse passen gut zu einem Verständnis des Menschen als anpassungsfähigen Organismus und nicht als Maschine.
Damit lässt sich festhalten, dass weder Kraftsport noch aerobe Aktivitäten wie Laufen in der Freizeit Arthrose verursachen. Vielmehr kann progressives körperliches Training dazu beitragen, die Muskelkraft, die Schmerzintensität, die körperliche Funktion und die Selbstwirksamkeit zu verbessern - selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Arthrose (bspw. Vincent & Vincent 2012). Auch selbstgewähltes Laufen wird mit einer Verbesserung der Knieschmerzen in Verbindung gebracht und verursacht auch keine Gelenkschäden (Lo et al., 2018)
Bei Kniearthrose körperlich aktiv zu bleiben, ist wichtig, um unabhängig und gesund zu bleiben, insbesondere angesichts des Risikos chronischer Krankheiten, welches mit Bewegungsmangel einhergeht (Booth et al., 2012). Die Quintessenz ist, dass wir uns keine Sorgen über Abnutzung machen sollten. Demgegenüber sollte vielmehr die Prämisse stehen, dass Inaktivität wahrscheinlich schädlicher ist als Aktivitäten, an die wir uns anpassen können. Wir sollten uns daher auf das Leben und körperliche Aktivitäten einlassen und unsere Gelenke belasten, um ihre Kapazität zu steigern, anstatt sie aus unangebrachter Angst vor Schäden zu vermeiden.
Ein Mangel an regelmäßiger körperlicher Betätigung gehört zu den häufigsten Risikofaktoren für Funktionseinbußen bei Patienten mit Arthrose (Dunlop et al., 2005). Dies ist ein guter Ansatzpunkt für Interventionen, um das Fortschreiten der Erkrankung abzumildern oder eine Verbesserung von Schmerzen und Funktion zu erreichen, selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Arthrose. Bei Patienten mit mittelschwerer bis fortgeschrittener Arthrose, die für eine Kniegelenkersatzoperation in Frage kamen, führte beispielsweise ein einfaches Übungsprogramm dazu, dass 75 % der Patienten die Operation nach 12 Monaten und 68 % nach 2 Jahren ablehnten (Skou et al., 2015). Wenn jedoch Menschen mit fortgeschrittener Arthrose regelmäßig Sport treiben und eine deutliche Verbesserung ihrer Schmerzen und Funktion erfahren, bleiben dennoch oft Zweifel bezüglich künftiger Knieschmerzen, Knieschäden und der Überzeugung, dass sie unweigerlich einen Kniegelenkersatz benötigen werden, bestehen (Jason et al., 2019). Diese Überzeugungen können im Verlauf der Behandlung eine große Herausforderung darstellen und profitieren von der Aufklärung und Anleitung durch einen Arzt und/oder Therapeuten.
Das soll nicht heißen, dass ein chirurgischer Gelenkersatz nie nützlich oder notwendig ist. In der Tat handelt es sich um eine im Allgemeinen erfolgreiche Operation, wenn sie bei entsprechend ausgewählten Patienten durchgeführt wird. Dennoch sollten Patienten eine qualitativ hochwertige, evidenzbasierte Behandlung erhalten sollten, bevor die Notwendigkeit einer Operation in Betracht gezogen wird. Wenn eine solche Behandlung zuerst angeboten wird, tritt bei einem großen Teil der Patienten eine deutliche Verbesserung ein, so dass eine Operation aufgeschoben oder ganz vermieden werden kann. Wenn sich also bei Patienten mit fortgeschrittener Arthrose durch eine angemessene nicht-chirurgische Behandlung (zu der auch eine angemessen dosierte körperliche Betätigung gehört) keine Besserung einstellt, kann immer noch darüber entschieden werden, ob sie für eine Operation in Frage kommt. Wenn ein chirurgischer Eingriff die richtige Option ist, kann die Teilnahme an einem Trainingsprogramm im Vorfeld dazu beitragen, dass die Patienten ihr Leben schneller wieder aufnehmen können - mit weniger Schmerzen und Einschränkungen (Gränicher et al., 2022).
Management-Strategien
Auf der Grundlage einer Reihe klinischer Praxisleitlinien wird als Erstes empfohlen, bei Arthrose Selbstmanagementprogramme durchzuführen, Sport zu treiben und sich in einem Maße körperlich zu betätigen, das den internationalen Leitlinien entspricht - oder sich im Laufe der Zeit an diese Richtlinien anzupassen (AAFP, 2014; ACR, 2019).
Leider gibt es im Gesundheitswesen erhebliche Unterschiede zwischen den Gesundheitsdienstleistern, was die Bereitstellung evidenzbasierter Aufklärung und die Einhaltung dieser Leitlinien angeht (bspw. Cottrell et al., 2010). Dies führt dazu, dass gewisse Publikationen und damit einhergehende Meinungsbilder durch das Internet und die Buchläden kursieren, die problematische Erklärungsmodelle mit sich bringen. Weshalb beispielsweise die „Arthrose-Lüge“ kritisch zu betrachten ist, zeigt dieser Beitrag auf.
Einer der Schwerpunkte liegt auch auf der Verwendung von Medikamenten und Injektionen zur Behandlung von Arthrose, einschließlich (aber nicht beschränkt auf):
Paracetamol
orale nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (z.B. Naproxen oder Ibuprofen)
orale Opioide (z. B. Hydrocodon; Oxycodon; Tramadol)
topische Therapien (z. B. Diclofenac-Creme, Voltaren-Gel)
Injektionstherapien (z. B. Kortikosteroid-Injektionen; Plasma-Injektionen; Hyaluronsäure-Injektionen)
Nahrungsergänzungsmittel (z. B. Glucosamin, Chondroitin, usw.)
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass viele dieser häufig verwendeten Behandlungen nur vorübergehend, in geringem Umfang oder gar nicht im Vergleich zu Placebos von Nutzen sind (Clegg et al., 2006; Hunter, 2017). Auch wenn diese Maßnahmen zur kurzfristigen Schmerzlinderung eine Rolle spielen können, sollten sie nicht gegenüber den etablierten Erstbehandlungsmethoden wie Selbstmanagementprogrammen, körperlicher Aktivität und abgestuften Übungen bevorzugt werden. In ähnlicher Weise bieten viele Reha-Kliniken eine Reihe von Maßnahmen an, die eher am Patienten durchgeführt werden, wie z. B. Massagen, Akupunktur, Ultraschall, TENS und andere Therapien, statt progressiver Übungen und Selbstmanagementprogramme. Auch diese tendieren dazu, keinen langfristigen Nutzen zu haben und ersetzen nicht die Notwendigkeit aktiver, angemessen dosierter Bewegungsinterventionen.
Im Rahmen der "Ganzheitsperspektive" der Arthrose ist es auch wichtig, andere Gesundheitsaspekte zu berücksichtigen, die zu Symptomen und Gelenkempfindlichkeit beitragen können. Dazu gehören Elemente wie Depressionen, Ängste, Stress und Sorgen, bei denen die Zusammenarbeit mit einem Psychiater oder Psychologen hilfreich sein kann. Andere Erkrankungen, wie z. B. das Tragen von überschüssigem Körperfett, können zu den Symptomen von Arthrose beitragen. Daher kann die Zusammenarbeit mit einem Gesundheitsteam aus Ärzten, Ernährungsberatern und Gesundheitsberatern helfen, einen nachhaltigen Gewichtsverlust zu erreichen (Riddle & Stratford, 2016).
Hier sind einige Empfehlungen der WHO und diverser Leitlinien zu Bewegung und Ernährung im Zusammenhang mit Arthrose:
Bewegung: Die WHO empfiehlt Erwachsenen im Alter von 18 bis 64 Jahren mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche oder mindestens 75 Minuten intensiver körperlicher Aktivität pro Woche, verteilt auf mindestens 3 Tage. Bei älteren Erwachsenen (ab 65 Jahren) wird zusätzlich die Stärkung von Muskel- und Knochenmasse empfohlen. Für Menschen mit Arthrose wird empfohlen, Übungen zur Stärkung der Muskulatur und Verbesserung der Gelenkfunktion zu machen, die nicht zu stark belasten und Gelenkschmerzen verursachen. Körperliche Aktivität und Bewegung. Wenn es um körperliche Aktivität und Sport geht, sind viele Patienten unsicher, welche Übungen sie machen sollten und welche nicht. Viele Patienten haben beispielsweise Bedenken bei hockenden Bewegungen, die Knie und Hüfte beugen und belasten. Weniger wichtig ist die genaue Art der Übung; wichtiger ist eher die regelmäßige Ausübung einer körperlichen Aktivität. Es gibt auch keine spezifischen Bewegungen, die besonders schädlich sind, die vermieden werden sollten oder die auf eine ganz bestimmte Weise ausgeführt werden müssen. Es gibt keine richtige oder falsche Art, sich zu bewegen und eines der primären Ziele lautet, dass Patienten die Kraft, die Fähigkeit und das Vertrauen erlangen, sich auf vielfältige Weise unbeschwert zu bewegen. Ein einfaches Progressionsschema bei Probleme mit dem Aufstehen könnte wie folgt aussehen: Der Patient könnte von einem hohen Sitz (bei Bedarf mit Kissen, um den Weg in den Stand kurz zu halten) das Aufstehen für mehrere Wiederholungen üben. Sobald dies einfacher wird, kann eine niedrigere Ablage gewählt werden (bspw. Bett) und mit der Zeit Gewichte in die Hand nehmen oder die Sitzfläche komplett außen vor lassen, sodass eine klassischen Kniebeuge durchgeführt wird.
Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Obst und Gemüse wird empfohlen, um eine ausreichende Zufuhr von Mikronährstoffen sicherzustellen. Die WHO empfiehlt eine tägliche Aufnahme von mindestens 400 g Obst und Gemüse. Gesättigte Fettsäuren sollten begrenzt werden, da sie mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt einen Anteil von gesättigten Fettsäuren an der Gesamtfettzufuhr von nicht mehr als 10%.
Gewichtsmanagement: Übergewicht und Fettleibigkeit sind Risikofaktoren für die Entwicklung von Arthrose und können den Krankheitsverlauf verschlimmern. Eine Gewichtsreduktion kann das Risiko für Arthrose reduzieren und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Die WHO empfiehlt, ein gesundes Körpergewicht zu halten, indem man ausreichend Sport treibt und sich ausgewogen ernährt.
Rauchen und Alkoholkonsum: Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum können Entzündungen im Körper fördern und den Krankheitsverlauf von Arthrose verschlimmern. Die WHO empfiehlt, das Rauchen zu vermeiden und den Alkoholkonsum auf ein moderates Maß zu reduzieren.
Insgesamt sollten Menschen mit Arthrose einen gesunden Lebensstil pflegen, der regelmäßige Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, ein gesundes Gewicht, Vermeidung von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum umfasst.
Allerdings sollten dabei auch die sozialen Faktoren berücksichtigt werden, da der Zusammenhang mit Arthrose ebenfalls vorhanden ist. Im Allgemeinen können soziale Faktoren die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen mit Arthrose umgehen und welche Maßnahmen sie ergreifen, um ihre Symptome zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern. Einige spezifische soziale Faktoren, die bei Arthrose eine Rolle spielen können, sind:
sozioökonomischer Status: Der sozioökonomische Status eines Individuums kann den Zugang zu Gesundheitsversorgung, gesunden Lebensmitteln und Möglichkeiten zur körperlichen Betätigung beeinflussen. Menschen mit niedrigerem sozioökonomischen Status haben möglicherweise weniger Ressourcen und Möglichkeiten zur Verfügung, um ihre Gesundheit zu fördern und aufrechtzuerhalten.
soziales Umfeld: Ein starkes soziales Netzwerk kann dazu beitragen, das Wohlbefinden von Menschen mit Arthrose zu verbessern. Soziale Unterstützung kann den Stress reduzieren und das Selbstvertrauen stärken, was wiederum dazu beitragen kann, dass Menschen besser mit ihren Symptomen umgehen.
kulturelle Faktoren: Kulturelle Überzeugungen und Traditionen können die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit beeinflussen und somit auch die Art und Weise, wie Menschen mit Arthrose umgehen. Einige Kulturen haben möglicherweise spezifische Vorstellungen von Ernährung und Bewegung, die sich positiv oder negativ auf die Gesundheit auswirken können.
Auch ist der Schlaf von entscheidender Bedeutung für die Gesundheit und kann das Schmerzempfinden des Einzelnen beeinflussen, die Erholung nach dem Sport erleichtern und eine Reihe weiterer wichtiger Funktionen erfüllen. Maßnahmen zur Verbesserung der Schlafqualität sowie die Untersuchung und Behandlung anderer Schlafstörungen wie obstruktive Schlafapnoe oder Schlaflosigkeit sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Behandlung anhaltender Schmerzen.
Zusammenfassung
Anstatt sich Sorgen über „falsche“ Bewegung und Gelenkverschleiß zu machen, müssen wir erkennen, dass der Mensch sich an eine Vielzahl von Reizen anpassen kann. Die Auswirkungen von Bewegung führen tatsächlich dazu, dass sich unsere Gelenke anpassen und stärker werden, aber dies erfordert eine angemessene Dosis an Reizen - nicht zu viel und nicht zu wenig. Ein wichtiger Punkt bei körperlicher Betätigung im Zusammenhang mit Schmerzsymptomen lautet, langsam anzufangen, indem Bewegungen verwendet werden, die den betroffenen Bereich auf tolerierbare Weise einbeziehen.
Es ist üblich, dass die Symptome schwanken und die Schmerzen nicht graduell weniger werden. Zudem ist zu erwarten, dass ein gewisses Maß an Symptomen bei Aktivität auftritt, insbesondere am Anfang. Dies sollte jedoch nicht abschrecken und sollte nicht zwangsläufig als abnormal oder gefährlich eingestuft werden. Falls die Symptome also erträglich bleiben und während des Trainings oder danach nicht auf ein stark einschränkendes Niveau ansteigen, sollten Sie problemlos weitermachen können. Wenn die Symptome hingegen drastisch zunehmen, sind wahrscheinlich Änderungen an der Dosierung oder der Art der Aktivität erforderlich; dies kann bedeuten, dass die Belastung, die Intensität oder das Volumen der Übung auf ein erträglicheres Niveau reduziert werden und von dort aus fortgefahren werden sollte.
Andere Faktoren können ebenfalls eine Rolle beim Aufflackern der Symptome im Laufe der Zeit spielen, darunter Lebensstress, Schlafmangel, Angstzustände, ungewohnte Aktivitäten oder Belastungen und viele andere. Dies kann dazu führen, dass die Dosierung der Bewegung vorübergehend angepasst werden muss, während an diesen anderen Faktoren gearbeitet wird. Dies verdeutlicht die Relevanz, Arthrose aus der Perspektive des ganzen Menschen zu betrachten und sich nicht nur auf das Gelenk zu konzentrieren.
Die Anwendung dieses Ansatzes, d. h. ein Training innerhalb eines erträglichen Maßes an Symptomen, kann dazu beitragen, mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufzubauen und die Kontrolle über die eigene Situation zu erlangen (bekannt als Selbstwirksamkeit). Dies führt in der Regel zu besseren Langzeitergebnissen als die völlige Abhängigkeit vom Gesundheitssystem, das Ihr Gelenk für Sie "repariert" - was ohnehin nicht möglich ist (Luque-Suarez et al., 2019).
Aller Anfang ist schwer, weshalb kompetente Ärzte und Therapeuten vor allem zu Beginn des Rehabilitationsprozesses eine gute Anlaufstelle sind, um den Weg für die Zukunft zu ebnen.
Dieser Beitrag ist angelehnt an den Guide to Osteoarthritis von Barbell Medicine.
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